Kinder sind Persönlichkeiten – Eltern auch

Vor kurzem hieß es bei uns „Kinder sind Persönlichkeiten – Eltern auch“. Unter diesem Titel hat Sven Liefold einen Vortrag für die anderen Eltern im Kinderladen gehalten. Er ist Vater zweier Wurzelzwerge und arbeitet als Life Coach und Consultant zum Thema Selbstverwirklichung und authentisch leben in der Familie.  Gegenstand seines Vortrages war der Einfluss der Persönlichkeit der Eltern auf die Persönlichkeitsentwicklung ihres Kindes.

Es war eine Einladung an alle Eltern, der Entfaltung der eigenen Potenziale und Wertschätzung der eigenen Wünsche wieder mehr Aufmerksamkeit zu widmen, gerade weil sie Kinder haben. Für interessierte Eltern und alle, die den Vortrag verpasst haben, veröffentlichen wir hier eine Zusammenfassung:

Was ist Persönlichkeit?

In der Psychologie versteht man unter Persönlichkeit „die Summe aller psychischen Eigenschaften und Verhaltensweisen, die dem Einzelnen seine Individualität verleihen und seine typischen Merkmale ausmachen.“ Wir Menschen sind Individuen. Jeder hat seine eigenen angelegten Potenziale, mit denen er zur Welt kommt. Die Ausprägung und Entwicklung der eigenen Persönlichkeit ist allerdings signifikant von unserem Umfeld und den Erfahrungen, die wir darin machen abhängig. Warum das so ist und wie das geschieht werde ich später noch erläutern.

Fakt ist: Jeder von uns kommt einzigartig auf die Welt. Was wir alle dabei gemeinsam haben, ist das menschliche Grundbedürfnis, diese Einzigartigkeit frei leben zu dürfen. Ebenso wie das Grundbedürfnis, dabei mit anderen verbunden bleiben zu wollen. Das gilt sowohl für Kinder, als auch Erwachsene. Diese zwei Grundbedürfnisse haben alle Menschen gemeinsam, weil sie aus der Erfahrung im Mutterleib erwachsen: Wir alle durften in engster Verbundenheit mit unserer Mutter als Individuum wachsen und uns entwickeln. Es bleibt unser ganzes Leben so, dass wir Beziehungen suchen, wo wir das leben können: Individualität und Verbundenheit.

Unser Gehirn ein Beziehungsorgan.

Wir Menschen sind durch und durch Beziehungswesen. Mit entscheidend dafür ist die Art und Weise, wie sich unser Gehirn entwickelt: Im Gehirn werden sogenannte Erregungsmuster als innere Repräsentationen unserer gemachten Erfahrungen heraus geformt. Alles was an Eindrücken, Signalen und Wahrnehmungen im Gehirn ankommt wird so gespeichert. Diese Erregungsmuster werden mit jeweiligen Antwort- und Reaktionsmustern verbunden, also Möglichkeiten auf einen bestimmten Reiz zu reagieren. Die Hirnregion, in welcher diese komplexen Verschaltungen zusammenlaufen heißt Frontal- oder Stirnlappen. Diese Region ist dafür verantwortlich, die eintreffenden Impulse zu steuern bzw. zu hemmen. Ohne Frontalhirn keine zukunftsorientierten Handlungskonzepte, keine innere Orientierung, kein Abschätzen von Handlungsfolgen, kein Einfühlungsvermögen für andere Menschen und kein Verantwortungsgefühl. Dieser Teil unseres Gehirns wird erst nach der Geburt und, ganz wichtig: auf Basis unserer Beziehungserfahrungen mit anderen Menschen voll ausgeprägt. Unser Gehirn passt nämlich seine innere Struktur und Arbeitsweise an alles an, womit es in einer engen Beziehung steht. Womit es in Beziehung tritt, entscheiden wir, auf Basis dessen, was uns für die Bewältigung unseres Lebens als bedeutend erscheint. Nach der Geburt ist die Beziehung zur Mutter und gleich darauf die zum Vater eines der bedeutsamsten Dinge im Leben eines Kindes. Später kommen dann auch Beziehungen zu anderen engen Bezugspersonen dazu. Somit wird alles, was wir wissen, können, denken, fühlen, wünschen, träumen und wie wir die Welt sehen erst durch unsere eigenen Beziehungserfahrungen mit anderen Menschen geformt und strukturiert. Wichtig ist: Je früher und intensiver, desto tiefer verankert sind diese Beziehungserfahrungen.

Ausprägung der Persönlichkeit und Entwicklung des Wertesystems.

Wie findet nun diese Ausprägung der Persönlichkeit und das Entwickeln von Überzeugungen und Werten beim Kind statt? Dafür muss man wissen, wie unser Gehirn auf Herausforderungen reagiert: nämlich erst einmal mit Stress. Bei dieser Stressreaktion wird im Gehirn nach passenden Verknüpfungen gesucht: Erregungsmuster (Kenne ich diese Herausforderung?) und damit verknüpfte Antwortmuster (So habe ich die Herausforderung schon mal in den Griff bekommen.). Werden im Gehirn keine passenden Verknüpfungen zur Lösung des Problems gefunden, müssen wir mittels „Try and Error“ neue Wege finden, diese Herausforderung zu bewältigen. Hält dieser Zustand der unkontrollierbaren Stressreaktion allerdings länger an, dann wird aus dem Stress schnell Angst. Leider sind wir Menschen unter Angst nicht in der Lage, neue Lösungen zu finden. Wir müssen deshalb zuerst unsere Angst in den Griff bekommen.

Was dann jeder von uns braucht, auch als Erwachsener, ist Halt. Kleine Kinder bekommen Halt in erster Linie durch die Verbundenheit mit ihren Eltern. Probleme bekommt das Kind allerdings, wenn die Herausforderung, die es bewältigen muss, mit den eigenen Eltern zu tun hat. Zum Beispiel: das Kind will etwas anderes als die Eltern. Hier prallen dann unterschiedliche Vorstellungen aufeinander. Der einzige Ausweg für das Kind, diesem Stress dauerhaft Herr zu werden, ist die Anpassung an das Wertesystem der Eltern. Im Sinne von: „Wenn ich an dieselben Dinge glaube und mich so verhalte, wie die Personen, von denen ich mir Halt erhoffe, dann bleibe ich verbunden und habe keinen Stress mehr in der Beziehung.“ Bis zur Pubertät wird sich ein Kind im Zweifel immer gegen seine Individualität und für die Verbundenheit mit seinen Eltern entscheiden. Die Aneignung erfolgt allerdings hauptsächlich durch Beobachten und Imitation dessen, was die Eltern vorleben. Das ist der Grund, weshalb der Erziehungssatz: „Du sollst tun, was ich sage und nicht tun, was ich tue!“ nicht funktioniert. Wenn das Kind zum Beispiel Probleme hat, sich an Abmachungen zu halten, dann könnte es daran liegen, dass wir als Eltern selbst gerne mal unsere Pläne kurzfristig ändern oder das Kind an anderer Stelle von uns Verbindlichkeit fordert, wir ihm diese aber selbst selten geben.

Wie ein Kind seine Eltern als Individuen erlebt und die Erfahrungen, die es dabei macht, integriert es und macht es zum Teil seines eigenen Selbst. In der Beziehung zu unseren engsten Bezugspersonen, allen voran den eigenen Eltern, entscheidet sich, welche unserer Potenziale wir entfalten und welche nicht. Hier wird der Grundstein gesetzt, wie wir uns selbst und andere sehen.

Welche Schlussfolgerungen können wir daraus ziehen?

Wenn Kinder sich ihre Vorstellungen vom Leben und ihre Überzeugungen, worauf es darin ankommt durch Beobachten und Imitieren aneignen, dann kann die Konsequenz daraus nur lauten, dass es das Beste ist vorzuleben, was wir uns von Herzen für unsere Kinder wünschen. Wie wir unser Leben gestalten und wie wir das Leben selbst sehen, die Liebe, mit der wir all unsere Beziehungen führen und mit anderen Menschen in Kontakt treten, all das hat enorm großen Einfluss auf das Lebensglück unserer Kinder. Wir könnten wählen, uns intensiver mit diesen Themen zu beschäftigen und sie bewusster zu gestalten. Damit hätten wir gleichzeitig etwas für uns getan und für unsere Kinder. Eine echte Win-Win-Situation.

Dafür ist es hilfreich, sich damit auseinander zu setzen, wie die eigene Persönlichkeit als Kind geformt wurde und diese Erfahrungen in der Kindheitsfamilie vom eigenen Selbst zu trennen. Kaum einer wird behaupten, dass er immer mit dem einverstanden war, was er in seiner Familie lernen musste. Vieles haben wir uns unter emotionalem Schmerz angeeignet und vieles in uns verleugnet, weil es unsere einzige Möglichkeit war, mit unseren Eltern verbunden zu bleiben. Jeden inneren Konflikt, jeden blinden Fleck, jede Verletzung tragen wir in uns und die beeinflussen unser Denken, Handeln und Fühlen, heute genauso wie damals. Leider beeinflussen sie auch die Gefühle, das Denken und das Handeln unserer Kinder. Der erste Schritt, um es uns und unseren Kindern leichter zu machen, könnte sein, dass wir anfangen, unsere erlernten Überzeugungen und Vorstellungen zu hinterfragen. Unsere ganze Familie hätte etwas davon, wenn wir uns die Erlaubnis geben würden, unsere eigenen Werte zu analysieren, sie zu diskutieren, falls nötig, zu verwerfen oder neu zu beleben. Nicht nur den Kindern gegenüber, sondern auch gegenüber dem anderen Elternteil und weiteren Personen, mit denen wir in Beziehung stehen.

Das Problem dabei ist übrigens nicht, dass unsere Überzeugungen und Vorstellungen so unterschiedlich sind. Sondern, dass wir schwer akzeptieren können, wenn jemand die Welt anders sieht. Mal ehrlich: Wie oft finden wir uns in einem Streit wieder, in dem es eigentlich nur um „Richtig“ oder „Falsch“ geht. Und wie viel Energie stecken wir dort hinein, um dem anderen begreiflich zu machen, dass unsere Sichtweise die einzig richtige in der Situation sein kann? Aber wie könnte das der Andere so sehen? Er hat doch ganz andere Erfahrungen in seinem Leben gemacht. Was wäre, wenn stattdessen jeder diese Begegnung nutzen könnte, um sich selbst zu hinterfragen und vom anderen zu integrieren, was ihm vielleicht nützlich sein könnte? Eventuell würden er eine neue Erfahrung machen und sich dabei ein kleines Stück neu entdecken. Kreativität und Neues entsteht selten aus dem Nichts, es ist meist eine Neukombination von Vorhandenem. Auch als Eltern dürfen wir unterschiedliche Werte und Überzeugungen haben. Neurobiologisch hat das Kind dadurch die Möglichkeit mehr als nur ein Wertesystem zu integrieren. Es hat dann mehr Blickwinkel und mehr Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung, die es wiederum auch noch mit den bereits vorhanden Möglichkeiten kombinieren kann. Kinder spielen ihre Eltern nur gegeneinander aus, wenn diese ihre Verschiedenartigkeit nicht wertschätzen. Wertschätzung bedeutet (in jeder Beziehung): Nicht zu demütigen, lächerlich zu machen oder den anderen ins Unrecht zu stellen.

Das Schlusswort: Authentizität.

Fühlt euch eingeladen, nachzudenken, euch auszuprobieren und zu experimentieren. Aber stresst euch nicht! Jeder, der sich auf den Weg gemacht hat, den Dingen auf den Grund zu gehen, sich selbst zu hinterfragen, sein Leben bewusst zu gestalten und seinen Kindern eine gleich-würdige Beziehung bieten möchte, hat meinen tiefsten Respekt. Auch wenn wir als Erwachsene die Möglichkeit haben, uns von unseren Prägungen zu befreien, so ist das selten ein leichtes Unterfangen. Das liegt aber hauptsächlich daran, dass wir das als Kind nicht lernen konnten. Wir sind Anfänger und die brauchen einfach Übung und Unterstützung. Verstrickt euch nicht in Selbstzweifeln, wenn es euch mal nicht gelingt, euren Idealen gerecht zu werden. Authentizität ist dann ein guter Weg, Anspruch und Wirklichkeit miteinander zu verbinden. Kinder brauchen echte Menschen als Eltern, mit echten Gefühlen, welche auch mal irrational sein dürfen. Sie brauchen Eltern, die ihren Wünschen und Träumen folgen, und die sich dabei Fehler erlauben können und diese dann auch zugeben. Sie sollten die Möglichkeit haben, zu lernen, was es heißt Mensch zu sein, nicht Pädagoge. Laut Duden bedeutet Authentizität: Wahrheit, Klarheit und Glaubwürdigkeit. Wünschen wir uns das nicht alle?

Viel Spaß beim Leben und sich selbst Entdecken.

Wer mehr über die Arbeit von Sven Liefold erfahren will, findet ihn im Web unter: Familienarchitekt.de